Pretoria & South Coast
- Dorothea Sträßner
- 14. Okt. 2015
- 8 Min. Lesezeit
Sanibona meine Lieben,
fast rechtzeitig kommt hier wieder ein Update aus dem „globalen Süden“, wie man so schön sagt. Es ist wieder viel passiert, aber immer mehr davon ist Routine und es ist schon großartig zu sehen, wie man sich in mancherlei Hinsicht schon einen Alltag hier aufgebaut hat. Damit es nicht wieder allzu ausschweifend wird, fange ich mit den Erlebnissen der vergangenen fast drei Wochen an.
Donnerstag, 24. September: Heute war „Heritage Day“! Jürgen hat uns über das dadurch entstandene verlängerte Wochenende zu seiner Familie nach Pretoria eingeladen und so durften wir heute einen Road Trip mit Abstecher über die Drakensberge machen, die Angestellten an Tankstellen und Mautstellen in ihrer traditionellen Kleidung passend zum Feiertag bewundern und abends ein echt übersatt machendes Braai bei seinen Eltern zuhause genießen.

Freitag, 25. September: Zuerst ging es zu den Union Buildings, dem Sitz des südafrikanischen Parlaments. Auf dem Weg dahin habe ich auch meine ersten Zebras gesehen! Anschließend haben Maxi und ich dann unsere Mitfreiwilligen besucht, die in Pretoria wohnen. Mit Lisa und ein paar ihrer Mitbewohnerinnen habe ich dann den restlichen Tag verbracht.

Samstag, 26. September: Ganz ganz wichtig: Das zweite Gruppenspiel der Springboks in der Rugby-WM gegen Samoa. Nach der ersten Niederlage gegen Japan haben sie Samoa diesmal 46:6 plattgemacht.
Sonntag, 27. September: Bevor wir die ca. 6-stündige Heimfahrt angetreten haben, ging es erst noch zum Voortrekker-Monument. Die Voortrekker waren (so in etwa) afrikaanse, also weiße, Siedler die aus der Region von Kapstadt weggegangen sind, als diese britisch wurde, um neues Land zu erschließen. In diesem Monument wird der Sieg des Siedlerzuges über die Zulus in der Schlacht vom Blood River gefeiert. In der Zulugeschichte haben die Zulus übrigens gewonnen. Zwar ist kein Siedler gestorben, durch deren Gewehre aber viele Zulus – wichtiger für die Zulus war aber, dass sie einiges an Vieh, v.a. Ochsen, stehlen konnten.

Dienstag, 29. September: Abends war ich bei der Annual Award Lecture im Diakonia Council of Churches. Dort wurde mit Reden und Abendessen der Diakonia Award an Bishop Mike Vorster für sein soziales Engagement verliehen. Während der Zeit von Xenophobia Anfang diesen Jahres, in der viele Flüchtlinge aus ihren Vierteln ausquartiert und in provisorischen Camps untergebracht werden mussten, war er bspw. einer der anscheinend wenigen, die sich aktiv um diese Menschen gekümmert hat und jeden Tag am Ort des Geschehens war.
Mittwoch, 30. September: Heute war das erste Treffen der global eXchange Gruppe Durban. Von nun an werde ich mittwochs nicht im CCC sein, sondern mit dieser Gruppe Aktivitäten machen. Wir sind momentan Deutschland-Südafrika und Südafrika-Deutschland-Freiwillige, die entweder ihren Dienst schon geleistet haben, wie ich gerade dabei sind oder ihn erst antreten. Bei unseren Treffen werden wir ökologische und soziale Projekte besuchen und unterstützen, unser eigenes kulturelles Netzwerk mit Aktionen wie einer Stadttour nächste Woche ausbauen und den zukünftigen Durban-Hamburg-Freiwilligen etwas Deutsch beibringen.

Donnerstag, 1. Oktober bis Montag, 5. Oktober: Am Donnerstag ging es los zur ELM-Jahreskonferenz in Pennington, an der Südküste etwas außerhalb von Durban. Das war ein Treffen der Pastoren meiner Entsendeorganisation, bei der Maxi und ich die vier Kinder betreut haben. Vor allem haben die Jungs draußen spielen können, wir haben gebastelt, eine kleine Andacht vorbereitet… Außerdem haben wir auch an Andachten und – ganz wichtig – Ausflügen zum Strand teilgenommen haben. Es war wirklich schön, aus den anderen Regionen Südafrikas Berichte zu hören und das erste Mal (ich weiß, dass ich schon zwei Monate da bin!) im Meer schwimmen zu gehen. Ich habe es wirklich genossen, ein bisschen rauszukommen, morgens ein paar Bahnen zu schwimmen, mich bekochen zu lassen und mein erstes Buch endlich fertig zu lesen, das ich schon in Deutschland angefangen hatte.

Mittwoch, 7. Oktober: Als erste richtige global eXchange Aktion haben wir heute eine Stadttour durch die Innenstadt gemacht, bei der wir Fotos an Orten gemacht haben, die wie aus anderen Ländern aussehen. Das geht als Amazonas durch, oder? Abends ging es dann – ja, es ist hier wirklich sehr wichtig – zum Gucken des nächsten Rugbyspiels in einem Sportclubs, wo wir über Kayla wieder einige Leute kennenlernen durften. Die USA wurden 64-0 geschlagen.

Donnerstag, 8. Oktober bis Sonntag, 11. Oktober: Besuch! Meine lieben beiden Mitfreiwilligen Tine und Adina, die in KwaZamokuhle in den Drakensbergen (an dieser Stelle möchte ich den Blogroll rechts herzlichst empfehlen!) in einer Schule für Behinderte arbeiten, waren zu Besuch. Gemeinsam waren wir bei mir im Projekt, am Strand, bei einem Braai vom Cheerleadingteam, mit den Leuten von Mittwoch Rugby gucken (nein, nicht schon wieder die südafrikanischen Springboks) und bei Chantal vom Cheer zu einem leckeren indischen Roti, also quasi Curry in Wrap, eingeladen. Wir haben wirklich ein tolles Wochenende zusammen gehabt, nachdem wir uns im Juni beim Vorbereitungsseminar zuletzt alle drei gesehen hatten. Es hat sich auch ganz gut angefühlt, sich schon so gut auszukennen, dass man hier und da den Tourguide geben kann.

Thema #7, Kriminalität vs. Vertrauen: Was mir in meinen ersten zweieinhalb Monaten hier immer wieder auffällt, ist die paradoxe Mischung von Vorsicht, vor allem davor, ausgeraubt zu werden, aber andererseits auch einem viel stärkeren Gemeinschaftsgefühl als ich es aus Deutschland kenne.
Wie drückt sich die ganz objektiv höhere Kriminalitätsrate in meinem Alltagsleben aus? Erstmal bin ich ein Mädchen und weiß. Das heißt, im Dunkeln (ab ca. 18 Uhr) kann ich schon mal gar nicht alleine draußen sein. Aber auch alle anderen Menschen sind abends entweder mit dem Auto unterwegs oder halt zuhause, das ist hier ganz normal. Trägt auch zu einem gesunderen Schlafrhythmus bei, zuhause bin ich nie um 21 Uhr in’s Bett gekommen. Einmal war ich mit Lina (der Theologiestudentin aus Deutschland) aus Versehen abends noch in der Innenstadt. Es ist zwar nichts passiert, aber man spürt ganz stark, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Bis ein Freund uns abholen konnte, haben wir uns dann in der Nähe von allgegenwärtigen Security Guards rumgedrückt. Zu meiner Arbeit in der South Beach Area nehme ich auch nie mehr als nötig ist. So viel Geld, wie ich für Taxis und ggf. Einkäufe brauche in BH oder Hosentasche, das billige Handy, eine Wasserflasche und evtl. noch ein paar Papiere. Mit Handtasche, gutem Schmuck etc. würde ich dort nie hingehen! Außerdem soll ich mich spätestens um 14:30 Uhr auf den Heimweg machen, weil es sonst zu gefährlich wird. Zur Beruhigung: Meiner Vorfreiwilligen ist im ganzen Jahr nichts passiert.
Was meine ich mit Vertrauen? Erstmal die Fortsetzung der Story von oben: Als Lina und ich dann neben dem Security Guard eines Fleischladens standen, der noch auf hatte, kam der Ladenbesitzer vorbei, der vorm Laden nach dem Rechten sah. Als weiße Mädchen vielen wir total auf, und er hat gefragt, was wir hier machen. Wir meinten wir werden abgeholt, und dann meinte er wir sollen uns solange dichter an den Security Guard stellen und hat gefragt, ob wir denn wirklich bald abgeholt werden. Als unser Freund dann ankam, hat er uns bis zur Autotür gebracht. Allgemein wird man hier sehr schnell von Fremden angesprochen, was meist gar nicht so befremdlich ist, wie es gerade klingt. In den Taxis bspw. begrüßt man seine Sitznachbarn, und v.a. aufgrund meines deutschen Akzents wurde ich dann schon häufig gefragt, wo ich den herkomme, was ich so mache und in freundliche Gespräche verwickelt. Das Bezahlsystem, auf das ich in einem vorigen Post schon mal eingegangen bin, läuft ja auch auf Vertrauensbasis. Jeder drückt jedem einfach sein Geld in die Hand und am Ende hat man immer das richtige Wechselgeld und der Fahrer das Fahrtgeld. Ich habe noch nie mitbekommen, dass sich jemand etwas eingesteckt oder nicht bezahlt hätte. Dieses ausgeprägte Gemeinschaftsgefühl spiegelt sich wohl auch in der Anrede „sisi/sister“ die mir hier nicht nur von Freunden und Bekannten entgegengebracht wird. Im Allgemeinen sind die meisten Südafrikaner sehr nahbar. Das im Englischen übliche „Hey, how are You?“ entwickelt sich gerne mal in ein richtiges und ehrliches Gespräch, und wenn man neue Leute trifft, sich dann verspricht zu chatten oder etwas zu unternehmen, dann passiert das auch in den allermeisten Fällen. Das reinste Paradies für uns Freiwilligen, da wir so schon tolle Freunde und Bekannte kennenlernen durften und das in einer Geschwindigkeit, die ich von Deutschland kaum kenne.
Thema #8, die middle class: Seit dreieinhalb Wochen bin ich nun schon von der Grade R in die middle class gewechselt. Zusammen mit Tzitzi und Germaine betreue ich hier die bis zu 64 3- bis 5-Jährigen Kinder. Auf der einen Seite ist das sehr anstrengend, weil es noch mehr Kinder sind, auf der andern Seite müssen sie aber noch nicht ganz so viel arbeiten wie die Grade R-Kinder und dürfen mehr spielen. Mein neuer Tagesablauf sieht wie folgt aus: Morgens komme ich während des free plays an, die Kinder bekommen dann ihren Porridge wo ich entweder beim Austeilen helfe, und/oder mitesse. Dann geht es, genau wie in Grade R, mehr oder weniger pünktlich um 9 Uhr zum morning ring. Es ist ultra schwierig, diese Rasselbande dazu zu bewegen, vernünftig im Kreis zu sitzen, und da ist es dann schon manchmal meine Hauptaufgabe, Kinder zum Hinsetzen zu Ermahnen, sie wenn nötig umzusetzen… Dann wird gesungen, wo dann auch viele Klassiker wie „He’s got the whole world“ oder „Head, shoulders, knees and toes“ dabei sind. Danach werden – wieder wie in Grade R, nur kürzer – Wochentage, Monate und das Wetter wiederholt. Zuletzt geht es an das Wochenthema. Letzte Woche waren es zum Beispiel Krankenschwestern, Ärzte und Zahnärzte, diese Woche sind es Feuerwehrmänner. Tzitzi oder Germaine erklären den Kindern das Thema, und dann wird ein Arbeitsblatt dazu gemacht. Meist sollen die Kinder ausmalen, teilweise ein wenig Punkte verbinden und dann ist die Arbeit auch schon geschafft und sie können spielen. In dieser Phase bin ich dann die Ansprechparterin für die allgegenwärtigen Streitigkeiten, ich versuche aber auch, hier und da mal Spielzeug zu holen, wenn ich ein Buch finde vorzulesen oder wenn der Tag gut läuft, zu singen und zu tanzen. Meist ist es dafür dann aber doch zu laut und wühlig. In Zukunft möchte ich parallel zu dieser zweiten free play-Phase in Kleingruppen von ca. 5 Kindern kleine Aktivitäten anbieten. Montag habe ich einigen Kindern bspw. Papier, Wachsmalstifte und v.a. Scheren gegeben, damit sie mal ihre eigenen „Kunstwerke“ anfertigen können und nicht immer nur ausmalen müssen. Kurz vorm Mittagessen, das schon zwischen 11 und 11:30 Uhr serviert wird, geht es dann in die zweite ringtime. Die läuft dann immer unterschiedlich. Wenn die Kinder sich gut oder schlecht benommen haben, kann hier eine Ansprache erfolgen, es wird mal mehr, mal weniger gesungen und hier v.a. auch gespielt. Manchmal auch einfach nur der Fernseher angeschaltet. Wenn das Essen auf den Tischen steht, wird gebetet und dann werden die Kinder eins nach dem anderen an die Tische geschickt. Während sie essen baue ich dann ihre Matratzen für die rest time auf und esse selbst. Sobald die Kinder aufgegessen haben, bringen sie ihre Schüsseln selbstständig weg und suchen sich dann eine Matratze. Manchmal muss man ihnen dabei aber doch helfen, sie überzeugen, sich hinzulegen, Streithähne oder Schnatterliesen trennen… Sobald das geschafft ist, ist meine Arbeit für den Tag so weit getan. Klingt nach einem kurzen Tag, ist aber bei so vielen Kindern auf so engem Raum echt nervenaufreibend! Bevor ich nach Hause gehe, kann ich dann noch kleine Sachen erledigen wie Petronella im Büro helfen, Stifte sortieren, meine Kopien aus meinem deutschen Kindergarten übersetzen, mich mit den Lehrerinnen unterhalten, mein Zulu-Unterrichtsmaterial wiederholen…

In den letzten Tagen hat sich bei mir endlich ein zartes Gefühl von Angekommensein eingestellt und ich freue mich sehr auf die Monate, die mir noch bleiben. Ab und zu wünscht man uns hier, dass wir Weinen, wenn wir nächstes Jahr im Juli wieder nach Deutschland müssen – da bin ich momentan ganz zuversichtlich!
Nihambe kahle,
Doro
78 Tage in Durban noch 288 Tage
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