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Weiter geht's in Kenosis

  • Autorenbild: Dorothea Sträßner
    Dorothea Sträßner
  • 24. Apr. 2016
  • 9 Min. Lesezeit

In letzter Zeit habe ich schon einige Nachrichten von zuhause bekommen, dass ich bald wieder da bin. Und tatsächlich sind es keine 100 Tage mehr, bis ich in den Flieger steige. Ich vermisse euch auch, aber bitte, bitte lasst mich die restlichen drei Monate noch genießen, ich mache mich wegen der Zeit schon selbst genug verrückt ;) Es fühlt sich an, als ob der letzte Blogeintrag erst gestern online ging, aber tatsächlich sind es schon wieder fast zwei Wochen, und diesmal bin ich pünktlich.


Freitag, 15. April: Um Gelder für die Kenosis Community aufzubringen, sind Sister Happiness, Sister Sthembi, Hlengiwe, Nomthandazo und ich heute nach Pietermaritzburg zum Lutheran Theological Institue (LTI) gefahren. Dort hat ein ehemaliges Vorstandsmitglied ihre Promotion in Jura gefeiert, wofür wir Essen zubereitet und dann dort serviert hatten. Mit dem Bakkie voller Essen ging es also zu der Halle, wo wir Tische und Stühle aufgestellt und eingedeckt haben und dann das Buffet aufgebaut haben. Bis dann nach einigen – vielen – Reden das Essen serviert werden konnte, war es bestimmt sieben Uhr abends und so wurde es ein recht langer Tag für uns. Gelohnt hat es sich aber bestimmt allemal!

Samstag, 16. April: Heute habe ich meinen freien Wochenendtag bei Mary-Ann und Don verbracht. Die wohnen zwar nur am Fuß des Hügels, auf dem Kenosis liegt, aber es ist dann doch immer ganz schön, mal rauszukommen. Wir haben ein paar Besorgungen in der Stadt gemacht und ansonsten einen sehr entspannten Tag zusammen verbracht. Spontan habe ich dann auch gleich dort übernachtet.


Sonntag, 17. April: Schon morgens um acht Uhr fing der Gottesdienst in der Hayfields Lutheran Church an – trotz Abendmahl aber auch schon um neun Uhr vorbei. Da der Gottesdienst auf Englisch stattfand, konnte ich zur Abwechslung endlich auch mal wieder alles verstehen. Danach gab es einen Ausflug, zu dem die ganze Gemeinde eingeladen war. Es ging zur „Pietermaritzburg Model Engineering Society“, einem Park mit Miniatureisenbahn, wo wir dann gebraait haben. Highlight war definitiv der Minizug – Die Pietermaritzburger Freiwilligen aus Deutschland, die auch da waren, und ich haben uns gefreut wie die Kinder: „Nach acht Monaten endlich mal wieder Zug fahren!“


Montag, 18. April: Als wir heute morgen eines der Mädchen zu ihrer Schule in Copesville bringen wollten, sahen wir schon von weitem, dass die Straße von einer Menschenmenge versperrt war. Viele von ihnen trugen gelbe T-Shirts, und so haben wir auf einen Protest von ANC-Anhängern geschlossen. Damit keiner durchkommt, war die Straße mit angezündeten Reifen blockiert. Auch alle anderen Zugänge nach Copesville waren derart versperrt, und so konnte Deli heute nicht zur Schule. Später hat sich herausgestellt, dass es sich um einen Protest gegen die Bürgermeisterin handelte, da sie nicht genug für die Community tun würde, etwa für funktionierende Straßenbeleuchtung bei Nacht zu sorgen. Damit das Drama noch perfekt wurde, sind wir auf dem Weg zu einer der anderen Schulen an einer Straßenecke vorbeigefahren, wo trotz drum herum stehender Polizeifahrzeuge ein Toter am Straßenrand gut zu sehen war. Zuhause habe ich mich dann erstmal hingesetzt und meine Studienbewerbung fertig gemacht, so. Nein, da ist kein Zusammenhang ;) Hamburg ich komme, dauert nur noch ein bisschen!


Dienstag, 19. April: Heute Abend haben Mary-Ann, Don und ich die Prefects‘ Fashion Show ihrer Tochter Leslie and der Pietermaritzburg Girls High School besucht. Zwar ist die Schule nur ca. 20 min entfernt, dennoch wohnt Leslie dort unter der Woche im Internat. Sie ist auch schon auf diese Schule gegangen, als Mary-Ann und Don noch in Nelspruit, Mpumalange im Nordosten des Landes gelebt haben. „Prefects“ sind, wenn ich es recht verstanden habe, ältere Schülerinnen, die für je eine Gruppe von jüngeren Schülerinnen verantwortlich sind. Die Fashion Show haben sie als Fundraiser organisiert.


Mittwoch, 20. April: Im Kindergarten habe ich heute das erste Mal mit den Kindern gebastelt. Da sie diese Woche über Jahreszeiten lernen, haben wir ein Mobilé mit Blumen, Sonnen, Blättern und Mützen gebastelt. Die Schulkinder haben sich am Nachmittag dann ungewohnt gut und pflegeleicht verhalten, sodass ich abends entspannt endlich mal wieder zur Young Adults‘ Group bei Röhrs‘ kommen konnte und dort sogar nach vier Monaten Langa, den ich im Dezember bei der Jugendfreizeit kennengelernt hatte, wiedertreffen konnte. Heute haben wir einen Spieleabend gemacht mit „30 Seconds“, was in etwa so wie Tabu oder Trivial Pursuit funktioniert, selbstverständlich in südafrikanischer Version. Da fällt einem schon auf, wie viele Sachen man schon kennt, Schokoladenmarkennamen etwa, aber auch, wieviel Wissen einem eigentlich fehlt. Kam es zur Heimatprovinz von Julius Malema oder zu ehemaligen Kricket-Spielern, blieb mir nur ein „No clue“ übrig.

Donnerstag, 21. April: Heute Nachmittag kam Matthew aus Durban zu Besuch und konnte dann gleich Gebrauch von Kenosis‘ Gästezimmern machen. Es war wieder schön, jemandem das Projekt zu zeigen und vorzustellen! Als er im Youth Centre spontan einen Buchstabierwettbewerb mit den Kindern gemacht hat, sind diese halb hysterisch geworden, weil sie unbedingt gewinnen wollten.


Freitag, 22. April: Die Sportstunde im Kindergarten freitags macht immer mehr Spaß, je besser die Kinder die Spiele können. „Der Plumpsack geht rum“ können sie inzwischen richtig gut! Beim Abholen kam dann ein Schock: Während ich die Kinder in den Minibus eingeladen habe, hat sich die Handbremse gelöst und der Bus rollte bergab in den Zaun des Kindergartens, auf deren anderen Seite auch noch Kinder standen. Ich habe nur noch die Kinder vom Auto weggestoßen und die, die drinsaßen, angeschrien sie sollen sich hinsetzen. Letztendlich ist nur dem Auto, dessen Stoßstange soweiso repariert werden muss, etwas passiert, und Sister Lindeni, Nonto, Themba und ich sind mit dem Schrecken davongekommen. Am Nachmittag hat Sister Happiness mich nach PMB gebracht, denn für dieses Wochenende habe ich ein Auto gemietet, um Durban mal wieder einen Besuch abzustatten. Im Dunkeln auf das Lichtermeer Durban zuzufahren hat sich dann fast wie nach Hause kommen angefühlt. Untergekommen bin ich in meiner ehemaligen Wohnung – romantischerweise aufgrund vrübergehend fehlender Elektrizität diesmal in Kerzenschein – und habe mich dann gleich mit Mary zum Abendessen und Kino getroffen. Danach habe ich Jacqueline von einem Club abgeholt, und aufgrund des fehlenden Stroms in der Wohnung sind wir noch augegangen und haben dann sogar noch Leute getrffen, mit denen wir einen witzigen Abend verbringen konnten.


Samstag, 23. April: Nach dem langsamen Aufstehen sind Jacqueline und ich erst zum Victoria Street Market gefahren, bei dem sie noch nie war. Das Parkhaus war allerdings voll, und auf der Straße parken wollten wir in der Gegend nicht. Stattdessen ging es zum Suncoast Casino auf eine Waffel, bevor wir dann nach Umbilo gefahren sind, wo diesen Samstag ein Wettkampf für die Warriors Cheerleader anstand. Es sind viele neue da, aber es war schön, auch viele bekannte Gesichter wiederzusehen und herzlich empfangen und gedrückt zu werden. Jacqueline war dann von den Proben vorm Auftritt ganz angetan und wird dem Team eventuell beitreten. Ich habe es sehr genossen, den Wettkampftag mit dem Team zu genießen und habe auch die neue Teamschleife bekommen. Am Abend habe ich mich dann bei Jürgen mit Elana, Kayla und einer Freundin von Kayla getroffen.


Sonntag, 24. April: Da ich nicht so spät zurück nach Kenosis fahren wollte, ging es zum ersten Mal morgens um zehn Uhr in die Grace Family Church, was mal wieder sehr schön war. Nach einem Abstecher beim Strand habe ich mich dann nachmittags mit Felix, dessen Freundin Lea, und Lisa im Springfield Value Centre getroffen, bevor es am späten Nachmittag auch schon wieder zurück nach Hause (!) ging.


Thema #27, Weltretter vs. Freiwilliger: Über Facebook bin ich am Mittwoch auf den Zeit online-Artikel „Fotografinnen parodieren Doppelmoral von Freiwilligenarbeit“ (Link hier) gestoßen, der mich mal wieder an eine grundsätzliche Diskussion über die Arbeit von uns Freiwilligen hier in Afrika erinnert hat.

Allein Einleitung und Fazit des Artikels sagen schon viel aus: „Ihr Profiltext sagt alles: „Barbie Savior. Nicht qualifiziert – berufen.“ Wer mit farbigen Kindern zu Selfies posiert, der tut nichts Gutes – außer für sich selbst. Ein neuer Instagram Account kritisiert freiwillige Helfer*innen in Afrika, denen es mehr um Selbstdarstellung geht, als um echte Hilfe. […] Manche Betrachter*innen der Fotos von Savior Barbie fühlen sich angegriffen. Die beiden Frauen, die den Account ins Leben gerufen haben, können das nicht verstehen. „Wer sich von diesem Account angegriffen fühlt, sollte sich erst recht von den Menschen angegriffen fühlen, die diese Art von Fotos in aller Ernsthaftigkeit auf ihre Accounts stellen. Die sind ja genau das Problem!““ Und auch der Instagramtitel des nebenstehenden Bildes kritisiert das Selbstbild vieler Freiwilliger: „Who needs a formal education to teach in Africa? Not me! All I need is some chalk and a dose of optimism. It's so sad that they don't have enough trained teachers here. I'm not trained either, but I'm from the West, so it all works out. Good morning, class!! #barbiesaviortheeducator #wildwildwest #theyteachmemorethaniteachthem #whichmakessensecuzicantteach #PhDindelusionalthoughtprocesses #degreesplease #qualifiedisnotafeeling #godstillQUALIFIESthecalled #gettingschooledandoverruled“.

Wie auch die beiden Fotografinnen dieses Projekts, die selbst mal Freiwillige waren, ertappe ich mich selbst auch hier und da, wie ich zum Beispiel jetzt gerade ein Profilbild bei Facebook habe, das mich mit einem der – allesamt schwarzen – Kenosiskinder zeigt. Würde ich dasselbe Foto auch mit einem Kind aus Deutschland benutzen? In Deutschland habe ich nicht ein einziges Mal mit Kindern für Fotos posiert. Auch der Ansatz, zu helfen, und „so ein bisschen die Welt zu retten“ oder zumindest einen Beitrag zu leisten, ist mir nicht fremd. Auch wenn von Anfang an klargemacht wurde, dass dies ein Lern-, kein Hilfsdienst ist. Ich kann mich manchmal auch herrlich über die Schulen hier aufregen, die die Kinder „kaum zum Arbeiten kriegen“ und wo man mit 30% besteht, aber am Ende, so scheint es, doch nicht besonders viel kann. Das läuft doch in Deutschland alles besser? Schon, aber nicht wegen mir. Vielleicht wegen der qualifizierten und erfahrenen Lehrer und anderen Bildungskräfte und wegen eines Systems, dass seit Jahrzehnten läuft und dementsprechend entwickelt werden konnte. Und auch zur guten Lehrerin bin ich definitiv nicht geboren, nur weil ich eine gute Schulbildung hatte. Ich tue aber mein Bestes, den Kindern hier bei ihren Hausaufgaben zu helfen – der profunde Einblick in Schulstrukturen und Lebensumstände der Schüler außer hier in Kenosis habe ich eh nicht.

Unterstützend zu solchen selbstüberhöhenden Anfällen Freiwilliger kommen aber auch ab und zu locker aus der Hüfte geschossene Kommentare Einheimischer: „We need people like You coming, we’re a third world country“. Ja, es gibt in Südafrika viel Armut und ich nehme es als ein Land mit unglaublich großen wirtschaftlichen und sozialen Unterschieden wahr. Als Dritte-Welt-Land würde ich Südafrika aber nie bezeichnen. Es gibt fast überall Straßen, Strom, Wasser, Schulen, es gibt viele Systeme zur Unterstützung sozial Schwacher, etwa Stipendien, die mal mehr und mal weniger klappen. Klar gibt es immer – und in jedem Land, nur vielleicht in anderem Maßstab – viel zu tun, aber dieses Land ist alles andere als unzivilisiert.

Soll ich als Freiwillige jetzt also trotz meiner Ortsfremdheit, trotz meiner Unqualifiziertheit anpacken, „ein bisschen die Welt retten“, Fotos mit süßen Kindern machen (die ich ehrlich lieb habe, nicht nur wegen des chicen Farbkontrasts) – oder soll ich lieber beobachtend in der Ecke sitzen und bloß nichts tun, was ich in Deutschland nicht übernehmen würde, und mich bei allem, was ich tue, dreimal versichern, ob das jetzt kulturell respektvoll ist? Ich denke realistisch gesehen schwimmen wir alle so ein bisschen zwischen den beiden Polen.


Thema #28, eine Regenbogennation?: "We enter into a covenant that we shall build a society in which all South Africans, both black and white, will be able to walk tall, without and fear in their hearts, assured of their inalienable right to human dignity – a rainbow nation at peace with itself and the world." Nelson Mandela, Antrittsrede, Pretoria 9 Mai 1994

“Young South Africans, black coloured and white, all agree that the idea of the Rainbow Nation […] has died. Instead it has been replaced by a ‘cappuccino society’ which is a vast majority of black at the bottom, with cream on top, and a few chocolate sprinklings on top of that.” Business Tech, businesstech.co.za, 28. Oktober 2015

Ja was denn jetzt? Ist Südafrika eine Regenbogennation oder nicht? Und was ist das überhaupt? Geht es hier jetzt um friedliches Miteinander der südafrikanischen Kulturen, um Nichtunterdrückung und -diskriminierung einzelner kultureller Gruppen, um finanzielle und wirtschaftliche Gleichheit dieser? So ganz kann ich euch das bis heute nicht sagen. Über das Verhältnis von schwarzen, weißen, coloured (naja, gibt’s hier in KwaZulu-Natal nicht so viel) und indischen Bevölkerungsgruppen habe ich aber schon einige Beobachtungen angestellt. Erstmal – und das ist ganz ungünstig, wenn man einen Text wie diesen verfassen will – kann man das nicht verallgemeinern. Ich habe einige diskriminierende und voreingenommene Leute aus mehreren Kulturen getroffen, aber auch selbstverständlich multikulturell agierende. Es gibt sehr viele Wohngebiete, die kulturell sehr homogen sind – man denke an die Townships und informal settlements, in denen viele Schwarze leben. Morningside, wo ich in Durban gewohnt habe, war hingegen recht gemischt. Eine gerechtfertigte Einschätzung, ob eher mehr Menschen mit Mitbürgern anderer Kulturen klarkommen oder eher umgekehrt, kann ich leider nicht geben. Ein inter-racial Pärchen zu sehen ist jedoch auf jeden Fall zumindest in dieser Gegend sehr selten. Auf jeden Fall bedienen sich aber so gut wie alle Menschen hier zum bestimmten Grad dem racial profiling: Afrikaanse fahren gerne bBakkies, die Bettler an Straßenkreuzungen sind schwarze Jungs, Inder können gut mit ihrem Geld umgehen usw. sind da die harmlosen Oberflächlichkeiten. Empfindlicher wird es dann, wenn ich als weiße junge Frau ständig angesprochen werde und sich vile - schwarze - Männer schon nen Ast abfreuen, wenn ich nur freundlich zurückgrüße, wenn schwarzen Männern auf der Straße grundsätzlich nicht vertraut wird etc. Kultureller HIntergrund - im Eglischen würde ich hier einfach race schreiben, kommt im Deutschen aber nicht so gut - ist und bleibt wohl auch erstmal also eine riesengroße Sache.

So – bei dem kurzen Erlebnisbericht musste etwas mehr Input her ;)

Und noch immer gilt: Anfragen für meinen neuen Rundbrief und den Kenosis-Newsletter werden gerne angenommen.

Bis bald,

Doro

271 Tage in Südafrika noch 94 Tage

 
 
 

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